Ärger mit PEPP

Interview mit Laszlo A.Pota

Das Pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) ist seit Langem, seit 2009 intensiver, in der Diskussion und kann folgendermaßen erklärt werden: Es ist ein in Deutschland angewandtes Patientenklassifikationssystem, das auf Grundlage einer tagesbezogenen Kostenkalkulation in einer klinisch relevanten und nachvollziehbaren Weise Art und Anzahl der behandelten Krankenhausfälle in Bezug zum Ressourcenverbrauch des Krankenhauses setzen soll. 2017 soll es in abgemilderter Form in Kraft treten, nämlich nicht wie ursprünglich geplant als Budgetsystem zur Verhandlung mit Kostenträgern und nicht als landesweit gültiges Preissystem. Laszlo A. Pota hat für den BDP den Prozess mitgestaltet und beobachtet.

Was war geplant?

2009 hat der Gesetzgeber durch den § 17d des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) im Rahmen des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes die grundlegende Entscheidung getroffen, ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem auf der Grundlage von tagesbezogenen Entgelten für die voll- und teilstationären allgemeinen Krankenhausleistungen von psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen einzuführen. Es findet dabei eine Anpassung an das bisherige Klinikbudget statt. Es wird ein Landesbasisentgeltwert aus den Mittelwerten aller Kliniken ermittelt (alle Kosten eines Behandlungstages aller Behandlungsfälle im Mittel).

Was bedeutete das in der psychiatrischen und psychologischen Versorgung?

Allein dieses Verfahren führte bereits zur Kürzungen bei Personalkosten, also auch zu Personalabbau. Ärzte und pflegendes Personal in deutschen Kliniken sind aufgrund der Arbeitsbelastung sowie der wachsenden Komplexität und Entwicklung der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRGs-Fallpauschalen), ICD (Diagnose- Katalog) und OPS (Katalog auch spezieller psychiatrischer Verfahren) zunehmend auf die Hilfe von speziell ausgebildetem Fachpersonal angewiesen.
Dieses sollte eine Kombination aus medizinischem Hintergrundwissen, weiterführenden Kenntnissen zum PEPP-System, betriebswirtschaftlichem Sachverstand sowie praxisorientierten EDVKompetenzen vereinen. Hier fehlen aber explizit psychologische und psychotherapeutische Kompetenzen und die Berufskompetenzen anderer Berufsgruppen sowie die ausdrückliche Benennung dieser Berufsgruppen beziehungsweise deren Status und Verantwortung für eigenständige Arbeitsfelder oder Kooperation.

Welche Position nimmt dabei der BDP ein?

Während die Bundespsychotherapeutenkammer die Psychiatriepersonalverordnung aufkündigen und neu verhandeln will, sind die Berufsverbände und ver.di für den Erhalt und die Erweiterung der neuen Berufsgruppen mit ihren Tätigkeitsfeldern und Status sowie für die Einberechnung der so entstehenden Kosten. Die Einführung des PEPP hat zu massiven Protesten auch bei den Betroffenenverbänden und Patienten geführt. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen sind ähnlich wie beim DRG-System kaum abschätzbar, die gesetzten Anreize dürften aber in jedem Fall zu einer gravierenden Verschlechterung der Versorgung psychisch Erkrankter im stationären Rahmen führen. PEPP lässt noch weniger Zeit für die individuelle Behandlung der Patienten zu, es wird weder den Krankheitsbildern differenziert gerecht noch – in Bezug auf den Versorgungsaufwand – dem Personal. Alles, was bisher geplant und ausprobiert wurde, geschah gegen den breiten Widerstand von Fachverbänden, Einrichtungsträgern sowie Organisationen, die die Interessen von Gesundheitsprofessionellen und Patienten vertreten.

Wie sieht das weitere Vorgehen aus?

Wir müssen gemeinsam und realitätsbewusst Perspektiven für eine humane, gemeindenahe Psychiatriereform erarbeiten beziehungsweise die Ziele der Psychiatriereform endlich umsetzen, statt immer nur durch Pauschalisierung zu kürzen und die Qualität der Behandlung weiter zu verschlechtern. Vor allem darf nicht durch solche »Refomvorhaben« eine schlechtere beziehungsweise Unterversorgung der psychisch Kranken zum Beispiel über Hierarchisierung oder Ausgrenzung von Berufsgruppen eingeschleust werden. Davon abgesehen, dass die Verlagerung und der Übergang in die ambulante Versorgung auch immer noch völlig ungenügend sind.

Die Ausgrenzung von Psychologen und Psychotherapeuten ist doch nicht neu …

Und auch das Ausgrenzen von Patienten ist nicht neu: Um zu verstehen, was Psychiatrie und die Reformabsichten mit PEPP bedeuten, reicht ein Blick zurück in die Geschichte. Ausgrenzung von psychisch Erkrankten hat eine lange Geschichte: Wer nicht »richtig im Kopf« war oder der Meinung der Mächtigen folgte, wurde weggesperrt (Bastille in Paris, Festungshaft unter Friedrich dem Großen, Narrenturm in Wien etc.). Foltern, wie zum Beispiel mit kaltem Wasser übergießen, in Ketten legen, war neben Isolationshaft gang und gäbe. Erst im 19. Jahrhundert begann eine erste leichte Humanisierung von psychiatrischen Anstalten. Langsam veränderte sich die Form der Behandlung. Statt Folter wie mit Drehstuhl, Brenneisen und Elektroschock, Tinkturen, Arzneien und Zwangsjacken gehörten dann auch Gespräche, Spiele und körperliche Aktivitäten zur Behandlung, allerdings immer noch in der Isolation.

Welchen Einfluss hatten Entwicklungen im 20. Jahrhundert und in der Folge die Psychiatriereform?

Die »Psychologische Psychotherapie« wurde 1965 als medizinische Leistung in den Katalog der Heilbehandlungen aufgenommen. In den 1970er-Jahren waren psychiatrische Anstalten eher Tierheimen ähnlich: eine Aufbewahrungsanstalt, die gegebenenfalls noch großen Krankenhauskomplexen angeschlossen war. 1975 folgte der Bericht der »Psychiatrie-Enquete«. Unter großer Beteiligung von Psychologen schritten Medizin und Psychologie gemeinsam voran mit dem Ziel, die psychiatrisch-psychotherapeutisch-psychosomatische Versorgung der bislang weitgehend vernachlässigten oder gar geschädigten Klientel zu verbessern.

Was bedeutete dies für den Berufsstand des Psychologen?

Diplom-Psychologen, Sozialarbeiter und andere Berufsfelder wurden in Kliniken in der Folge als feste Berufsgruppe eingestellt. Die Enquete machte deutlich, dass in hohem Maße psychologische Methoden angewandt werden müssen, um die Situation zu verbessern. Gesprächstherapie nach Rogers, Gestalttherapie nach Perls, Verhaltenstherapie, Milieutherapie und viele mehr hielten Einzug in die Kliniken. Die Medizin, die ja am meisten in der Kritik der Enquete stand, begrüßte damit die Psychologenschaft an ihrer Seite, aber sie verstand sie stets als medizinisches Hilfspersonal. Und durch das PEPP wird dieser Status festgeschrieben, wenn wir uns nicht weiter wehren.

Die Fragen stellte Alenka Tschischka.

Dem Interview liegt ein längeres Essay zugrunde, das Interessierte bei der Redaktion von report psychologie anfordern können.