Entgelte im kirchlichen Arbeitsrecht

Gespräch mit Walter Roscher über ein im wahrsten Sinn des Wortes lohnendes Thema

In jüngster Zeit haben sich die Anfragen von Sektionsmitgliedern zur Anwendung des Tarifvertrages öffentlicher Dienst (TVöD) und zur richtigen Eingruppierung in den verschiedenen kirchlichen Systemen bzw. Einrichtungen  gehäuft. Um möglichst vielen Betroffenen unabhängig von der in vielen Fällen nötigen individuellen Beratung ein Basiswissen zu vermitteln, hat der Sektionsvorstand sich entschieden, Walter Roscher die Möglichkeit zur Beantwortung einer ganzen Reihe von Fragen auf der Webseite der Sektion zu geben. Roscher ist nicht nur Beisitzer im Sektionsvorstand, sondern auch Mitglied sowohl der Arbeitsrechtlichen Kommission in Hessen-Nassau und als auch der Mitarbeitervertretung.

Was macht es so schwer, sich im kirchlichen Arbeitsrecht bezogen auf die Bezahlung zu Recht zurechtfinden?

Nach der Kirchlichen Dienstordnung (KDO) in der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau entspricht zum Beispiel die E 12 KDO der E 13 im TVöD. Die KDO gilt aber nicht überall. Auch in den Tabellen anderer Kirchen gibt es Eingruppierungen wie beim Öffentlichen Dienst, nur sind diese nicht identisch mit denen im TVöD. Wir stellen immer wieder fest, dass Mitgliedern die Entstehung von Entgelten in den verschiedenen Bereichen unklar ist.

Dann erklären Sie diese doch bitte.

Wir sprechen von drei Wegen. Welcher Weg beschritten wird, entscheidet die Landeskirche, die Diakonie oder die Caritas. Beim ersten Weg handeln Arbeitnehmer/Dienstnehmer mit dem Arbeitgeber einen Vertrag aus. Darin wird der Verdienst festgeschrieben; eine evtl. Erhöhung ist Gegenstand einer weiteren Verhandlung. Dieser Weg wird jedoch nur noch in wenigen Bereichen beschritten.

Der zweite Weg ist der, den die Gewerkschaften auch für alle kirchlichen Einrichtungen anstreben. Danach vertreten sie in Tarifverhandlungen die Interessen der Arbeitnehmer – vorzugsweise natürlich der gewerkschaftlich organisierten, also ihrer Mitglieder. Sie handeln dabei Entlohnungstabellen – das sind die Tarife – aus: den TVL für das Land, den TVöD für den Öffentlichen Dienst (Bundestarif) und den für die Kommunen geltenden TVöD. In den Tarifgesprächen wird auch festgelegt, welche Arbeitnehmer mit welcher Ausbildung und welchen Arbeitsaufgaben wie eingruppiert werden. Aufgrund der Tatsache, dass die Zahl der Psychologen in der Bundesrepublik verglichen mit anderen Berufsgruppen relativ klein ist und zudem längst nicht alle einer Gewerkschaft angehören, haben Psychologen und Psychologische Psychotherapeuten von diesem zweiten Weg bisher nicht stark profitieren können.

Ist der zweite Weg bis heute nur eine Wunschvorstellung der Gewerkschaft auch für kirchliche Einrichtungen, oder wird er teilweise auch dort bereits beschritten?

Es gibt kirchliche Einrichtungen, die nach dem TVöD gehen, allerdings  wird er nicht auf dem von der Gewerkschaft angestrebten Weg verhandelt. Viele Landeskirchen, auch Diakonien und zum Teil die Caritas prüfen den TVöD  bzw. seine Tabellen nach Erscheinen und übernehmen ihn nach Abstimmung durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Dieses Verfahren nennt sich „Kirchengemäße Tarifverträge“. Es lässt zu, dass einzelne Berufsgruppen beispielsweise niedriger eingruppiert sind als es der TVöD vorsieht. Mit zunehmendem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften dürfte das aber künftig nicht mehr passieren. Für die Anwendung des TVöD spricht im Übrigen, dass die Refinanzierungsanteile in diesem Fall leichter mit den öffentlichen Trägern ausgehandelt werden können.

Auf der anderen Seite kann auch die Nichtannahme des TVöD gute Gründe haben. So verfügt die Kirche über Arbeitsstellen, die im TVöD gar nicht vorkommen, also in jedem Fall extra geregelt werden müssten. Zudem sind Pfarrer nach dem Beamtenrecht beschäftigt. Außerdem muss man den spezifischen Beschäftigten wie Küstern und Kirchenmusikern Rechnung tragen. Die Kirchen empfinden es darüber hinaus als angemessen, wenn man ohne Aussperrung und Streik auskommt und sich stattdessen einigt. Bei zu vielen erforderlichen Sonderregelungen empfiehlt sich daher ein eigenes kirchliches Recht.

Worin besteht der erwähnte dritte Weg?

Der dritte Weg wurde durch das Bundesarbeitsgericht in Erfurt 2012 als rechtens bestätigt. Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts war eine Klage von ver.di vorausgegangen. Die Gewerkschaft hatte ein allgemeines Streikrecht für alle Arbeitnehmer gemäß Grundgesetz gefordert. Für ver.di bleibt der dritte Weg wegen des fehlenden Streikrechts unakzeptabel.

Das Bundesarbeitsgericht musste zwischen zwei Rechtsgütern abwägen: Einerseits dem Recht der Kirche, ein eigenes Arbeitsrecht zu schaffen. Das ist im Grundgesetz garantiert. Andererseits dem ebenfalls grundgesetzlich garantierte Streikrecht, das es nach dem dritten Weg nicht gibt. Unter Auflagen gab das Gericht in diesem Fall dem Recht der Kirche den Vorzug.

Wie sehen Tarifverhandlungen unter diesen Bedingungen aus?

Den Arbeitgebern sitzen bei Verhandlungen z.B. der Verband kirchlicher Mitarbeiter und der Marburger Bund gegenüber. Das Ergebnis der Gespräche sind keine Tarife sondern Entgelte. Über diese hinaus wird in dem genannten Rahmen das gesamte kirchliche Arbeitsrecht ausgehandelt.

Trifft es zu, dass Arbeitnehmer im Kirchlichen Arbeitsrecht finanziell durchaus besser gestellt sein können als nach TVöD, und wenn ja, wovon hängt das ab?

Es hängt u.a. davon ab, wie leistungsstark die jeweilige Landeskirche und die Refinanzierungssysteme in der Diakonie oder der Caritas sind. In Hessen-Nassau liegen Beschäftigte nach Kirchlichem Arbeitsrecht drei bis acht Prozentpunkte über TVöD. Ganz anders ist das in Brandenburg, wo weder die Katholische noch die Evangelische Kirche über große finanzielle Mittel verfügen.

Was passiert, wenn bei Verhandlungen eine Einigung nicht gelingt?

Es wird von beiden Seiten jeweils eine Vorlage mit den eigenen Forderungen ausgearbeitet. Über beide Papiere wird in der paritätisch zusammengesetzten Arbeitsrechtlichen Kommission abgestimmt. Man braucht also immer mindestens eine Stimme der Gegenseite, um den eigenen Vorschlag durchzubringen.

Wenn die erste Lesung ergebnislos verläuft, also keine Seite eine Mehrheit erreicht, haben beide Seiten das Recht, die Schlichtung anzurufen. In diesem Fall gibt es einen Ausschuss unter Vorsitz eines Richters, also einer neutralen unabhängigen Person. Dem Ausschuss gehören jeweils zwei berufene Vertreter der Arbeitsgeber- und der Arbeitnehmerseite an. Das Gremium trifft eine Entscheidung.

Kann diese theoretisch in einem Kompromiss bestehen?

Nein. Der Ausschuss kann sich nur für die eine oder die andere Vorlage entscheiden. Oder er muss beide zurückweisen und erneute Verhandlungen fordern. Ausgeschlossen sind Streiks; einziger Weg ist die Kompromissbildung durch Verhandlungen.

An wen können sich Psychologinnen und Psychologen mit Fragen zu ihrem Arbeitsvertrag, ihrer Eingruppierung oder bei Konflikten mit dem Arbeitgeber wenden?

Sektionsmitglieder können sich zunächst an die Sektion Angestellte und Beamtete Psychologen wenden. Unsere Beratung kann konkreter ausfallen, wenn sich die/der Betroffene im Vorfeld bereits eine gedruckte oder digitale Version des in ihrem/seinem Fall gültigen Arbeitsrechts hat geben lassen. Wir können unmöglich all die verschiedenen Versionen kennen. Sinnvoll ist es auch, zuvor mit der eigenen Mitarbeitervertretung zu sprechen und z.B. die Eingruppierung von Psychologen abzufragen oder nachzulesen. Mitarbeitervertretungen sollte es überall geben.

Man erfährt dort auch, wer in der Arbeitsrechtlichen Kommission ist, und kann sich unter Umständen an ein Mitglied dieser Kommission wenden. Dieser Weg gilt besonders für Anliegen, die mehrere Kolleginnen und Kollegen betreffen und generell neu geregelt werden sollten. Wer ein eigenes starkes Interesse an arbeitsrechtlichen Fragen hat, dem empfehle ich die Zeitschrift ZMV vom  Ketteler-Vertrageine Fundgrube für arbeitsrechtliches Praxis-Wissen

Macht eine Beratung auch vor der Entscheidung für eine Stelle Sinn?

Durchaus. Als Sektion verfügen wir inzwischen über eine Menge Erfahrung, kennen die arbeitsrechtlichen Besonderheiten und können auf eventuell bestehende  versteckte positive oder negative Aspekte aufmerksam machen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Anders als im TVöD übernehmen manche kirchlichen Einrichtungen den zu zahlenden Betrag für die Altersvorsorge vollständig. Das fällt ins Gewicht. Diese Tatsache ist nicht jedem beim ersten Blick auf das zu erwartende Brutto-Entgelt bewusst.

Können Sie auch in Konfliktfällen wie bei Abmahnungen oder gar Entlassungen helfen?

In diesen genannten Fällen steht das staatliche Recht letztlich über dem kirchlichen. Als Sektion verweisen wir dort, wo juristischer Rat unverzichtbar ist, an Jan Frederichs, RA beim BDP.

Das Gespräch führte Christa Schaffmann.