Asylgesetzgebung behindert psychotherapeutische Versorgung von Flüchtlingen

Fachmagazin ASU beschreibt Voraussetzungen für erfolgreiche Integration

Nach Auffassung von Professor Dr. med. Sabine C. Herpertz, Direktorin der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg und Professor Dr. med. Johannes Kruse, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, sind die meisten Flüchtlinge sowohl bereits vor als auch während ihrer Flucht erheblichen Stressoren ausgesetzt und häufig traumatisiert, so dass diese Menschen dringend eine adäquate psychotherapeutische Versorgung benötigen.

Einer raschen psychotherapeutischen Hilfe stehen allerdings die einschlägigen Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) entgegen: Flüchtlinge haben zuerst nur Anspruch auf eine medizinische Notversorgung. Psychotherapie dagegen kann vom zuständigen Sozialamt nach dem AsylbLG § 6 erst genehmigt werden, wenn diese „im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder der Gesundheit unerlässlich“ ist. Umstritten ist dabei die Abgrenzung zwischen chronischen und akuten Erkrankungen, da bei Nichtbehandlung chronischer Krankheiten ein akuter Krankheitszustand drohen kann. Erst nach einem 15-monatigen Aufenthalt ohne Unterbrechung in Deutschland haben Asylsuchende nach §264 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 SGB V Anspruch auf Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und somit auf eine psychotherapeutische Behandlung.

Herpertz und Kruse verweisen in einem Beitrag in der Zeitschrift ASU (Leitmedium der deutschsprachigen Arbeitsmedizin) auf aktuelle epidemiologische Zahlen, die aus einem Forschungsprojekt von Professor Dr. med. Günter Niklewski, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Nürnberg, resultieren: Zwischen 2011 und 2012 hat Niklewski die Asylbewerberinnen und Asylbewerber in einer Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf, Bayern, systematisch untersucht. Zu den häufigsten Erkrankungen unter den Probanden zählten affektive Störungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Schlafstörungen sowie Angststörungen.

Im ASU-Beitrag von Herpertz und Kruse wird ebenfalls auf die besondere Situation von minderjährigen Flüchtlingen und auf der Flucht befindlichen Frauen hingewiesen. Für ein Gelingen der Integration im ersten Fall ist eine enge Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen sowie engagierten Bürgern erforderlich.

In der Arbeit mit Flüchtlingen darf zudem die Rolle der Sprachmittler und Dolmetscher nicht außer Acht gelassen werden. Diese werden vor erhebliche Herausforderungen gestellt. In der Exploration von Trauma-Opfern sind Sprachsicherheit und eine möglichst wortgetreue Übersetzung besonders wichtig. Jedoch sei, so Herpertz und Kruse, der Übersetzer keine „Übersetzungsmaschine“ sondern trete in eine „Triade“ mit dem Patienten und Therapeuten ein. Damit ist die Möglichkeit gegeben, dass der Übersetzer selbst Opfer einer sekundären Traumatisierung werden kann. Deshalb brauche es neben Fortbildungen auch regelmäßige Entlastungs- und Informationsgespräche zwischen Dolmetscher und Therapeuten vor und nach den Behandlungsstunden sowie weiterhin die Möglichkeit einer externen Supervision.

Traumatisierte Flüchtlinge brauchen eine umfassende psychosoziale Versorgung, die in ihren Schwerpunkten in Abhängigkeit von der aktuellen Lebenssituation, der Verweildauer im Aufnahmeland und der Schwere der psychopathologischen Symptomatik interindividuell recht unterschiedlich sein kann. Aktuell erhält jedoch nur ein geringer Teil der Flüchtlinge, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, eine angemessene Behandlung und noch weniger sind präventive Maßnahmen verbreitet.

In Zukunft stellt sich die große gesellschaftliche Aufgabe, in den verschiedenen Aus- und Fortbildungsbereichen unseres Gesundheitswesens standardmäßig migrationsspezifische Inhalte und relevante kulturelle Informationen unter der Berücksichtigung von Genderaspekten sowie Spezifika im Umgang mit (Bürger-)Kriegsopfern zu integrieren. Zudem ist es notwendig, den Einsatz von Dolmetschenden und Sprachmittlern im Gesundheitswesen rechtlich, finanziell und qualitativ zu regeln und sowohl professionellen als auch Laienhelfern die notwendige Unterstützung und Supervision bereitzustellen.