Wenn die innere Uhr aus dem Takt ist

Metastudie zur Zeitwahrnehmung bei Schizophrenie

An Schizophrenie erkrankte Menschen haben ein anderes Zeitgefühl als gesunde. Sie sind außerdem weniger präzise bei der Beurteilung zeitlicher Abfolgen. Dies ergab eine Metastudie von Psychologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Sie haben dazu 68 internationale Veröffentlichungen aus den vergangenen 65 Jahren herangezogen und so die Daten von 957 Schizophrenie-Patienten mit 1060 gesunden Kontrollpersonen verglichen.

Eine gängige Theorie in der Schizophrenieforschung geht davon aus, dass dem Krankheitsbild Fehler in der zeitlichen Informationsverarbeitung zugrunde liegen könnten und es auf diese Weise zu den bekannten Symptomen wie Halluzinationen, beispielsweise Stimmenhören, oder einem Auseinanderfallen von Handlungen und Gedanken kommt. Die Psychologen Sven Thönes, mittlerweile Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund, und Dr. Daniel Oberfeld-Twistel vom Psychologischen Institut der JGU haben in der Metastudie untersucht, ob die theoretisch angenommene Störung von Zeitwahrnehmung und zeitlicher Verarbeitung bei Schizophreniepatienten tatsächlich vorliegt.

Dazu ließen sie die Probanden z.B. schätzen, für wie viele Sekunden Quadrate unterschiedlicher Farben auf einem Bildschirm zu sehen sind. Sie beurteilen zudem, ob zuerst ein blaues und dann ein rotes Quadrat zu sehen war oder umgekehrt. Deutlich beeinträchtigt sind der Studie zufolge bei schizophrenen Menschen die Präzision der Zeitwahrnehmung und der zeitlichen Verarbeitung. Ihre Schätzungen waren im Vergleich zu denen der nicht erkrankten Kontrollgruppe viel variabler. Sollte die Dauer der Präsentation eines Quadrats, das jeweils für eine Sekunde auf dem Bildschirm erschien, 20 Mal nacheinander geschätzt werden, dann wiesen die Schätzungen der Schizophreniepatienten wesentlich größere Schwankungen auf als die der Kontrollgruppe. Der Durchschnittswert – also die mittlere Schätzung in Sekunden – war jedoch bei beiden Gruppen gleich groß.

Diese Ergebnisse zeigen, dass die innere Uhr bei an Schizophrenie erkrankten Menschen nicht unbedingt schneller oder langsamer tickt; sie ist vielmehr nicht konstant, so die beiden Wissenschaftler Thönes und Oberfeld-Twistel. Die Probleme bei der Beurteilung von zeitlichen Abfolgen ließen sich aber auch mit grundlegenden kognitiven Defiziten bei Schizophrenie erklären. „Man geht heute davon aus, dass die Verarbeitungsprozesse bei Schizophrenie beeinträchtigt sind, die Informationsübertragung im Gehirn etwas aus dem Takt geraten ist“, erklärt Oberfeld-Twistel. Künftige Forschungsprojekte sollten diesbezüglich mehr Klarheit schaffen und zudem den möglichen Einfluss von Medikation und Neurotransmittern auf die Verarbeitungsprozesse untersuchen.

Veröffentlichung:
Sven Thönes, Daniel Oberfeld
Meta-analysis of time perception and temporal processing in schizophrenia: Differential effects on precision and accuracy
Clinical Psychology Review, 29. März 2017
DOI: 10.1016/j.cpr.2017.03.007

Kontakt
PD Dr. Daniel Oberfeld-Twistel
Abt. Allgemeine Experimentelle Psychologie
Psychologisches Institut
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
T 06131 39-39274
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