Gedanken, die Mut machen

Neue Therapien helfen jungen Patienten, die an Schüchternheit und Angst leiden

Viele Kinder sind schüchtern oder ängstlich – meistens geht das irgendwann vorbei. Bei manchen Kindern entsteht aber eine soziale Angststörung. Dann wird aus Schüchternheit ein Problem, das ein Kind in seiner altersgerechten Entwicklung behindert. Dr. Julia Asbrand vom Institut für Psychologie der Universität Freiburg erforscht seit mehreren Jahren, welche Therapien jungen Patientinnen und Patienten dabei helfen, ihre Ängste zu überwinden. Im Prinzip ähneln diese den sozialen Ängsten, die auch Erwachsene haben. „Es geht fast immer um die Angst davor, von einem anderen Menschen negativ bewertet, für peinlich oder dumm gehalten zu werden. Häufig haben Kinder auch Angst davor, in Konflikten für sich einzustehen. Sie müssen mit acht, neun Jahren lernen, wie sie einer Gruppe Gleichaltriger begegnen“, erklärt Juliane Asbrand. Bei Jugendlichen gehe es darüber hinaus um den Kontaktaufbau und die Beziehungsentwicklung zu auf intimer Ebene. Das alles seien riesige Herausforderungen.

Soziale Ängste seien in bestimmten Entwicklungsphasen normal. Therapiebedürftig werde ein Kind dann, wenn es von den Ängsten in seiner Entwicklung gebremst wird und wenn es deswegen nicht die Dinge tun kann, die seinem Alter entsprechen – zum Beispiel wenn es einem Kind nicht gelingt, nach einem Schulwechsel einen neuen Freundeskreis aufzubauen oder in einen Sportverein einzutreten, in den es eigentlich gerne gehen möchte.

Im Rahmen von Forschungsprojekten bieten Juliane Asbrand und Kollegen betroffenen Kindern seit einigen Jahren Therapien an. Das erste Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde, hieß „Mut steht dir gut“ und ist inzwischen abgeschlossen. „Seit Herbst 2016 sind wir an einer Studie beteiligt, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird: Es heißt ‚Kinder bewältigen Angst‘“, kurz: KiBA. An diesem bundesweiten Projekt arbeiten sechs Universitäten zusammen, und rund 400 Kinder mit verschiedenen Ängsten werden daran teilnehmen.

Vor Beginn der Therapie im engeren Sinne müssen die Kinder verstehen, woraus die Angst eigentlich bestehen, so Dr. Asbrand. „Da gibt es drei Komponenten: die Gedanken, die körperlichen Reaktionen und das Verhalten.“ Bei der Angst, in der Schule etwas vorzutragen, sei der Angstgedanke vielleicht „ich könnte mich versprechen und die anderen lachen mich dann aus“. Bei den körperlichen Reaktionen berichteten Kinder oft, dass sie zittrige Knie oder verschwitzte Hände bekommen. Beim Verhalten zeige sich vor allem die Vermeidung einer Situation, etwa wenn ein Kind erst gar nicht in die Schule geht, wenn es ein Referat halten muss oder den Vortrag auswendig lernt. „Die Gedanken sind dabei ein wichtiger Punkt – man denkt, dass man ausgelacht werden wird, dabei hat noch keiner gelacht. Wir sprechen deshalb auch von Angst machenden und von Mut machenden Gedanken.“ Darunter versteht die Psychologin Gedanken, die dem Kind dabei helfen können, sich in eine schwierige Situation zu trauen. Es sei wichtig, dass diese Gedanken nicht unrealistisch sind.

„Entscheidend ist, den Gedanken auch auszuprobieren. Dafür machen wir Übungen und steigern uns dabei in kleinen Schritten bis zu einem frei gehaltenen Vortrag in der Klasse. Wenn ein Kind Angst vor Spinnen hat, dann üben wir erstmal mit Bildern und Videos. Dann bekommt das Kind die Aufgabe, mit den Eltern im Keller auf Spinnensuche zu gehen. Es geht darum, dass das Kind lernt, sich solchen Situationen auszusetzen und dass die Eltern wissen, wie sie ihr Kind coachen können.“

Bei „Mut steht dir gut“ gab es 12 Sitzungen à 100 Minuten, je eine pro Woche, in Gruppen von vier bis sieben Kindern. Bei der KiBA-Studie gibt es eine Einzeltherapie, die über insgesamt sechs Wochen geht. Bei der Hälfte der Kinder sind die Eltern mit dabei, bei der anderen Hälfte nicht. Ein Ziel dieser Studie ist herauszufinden, unter welchen Bedingungen das Einbeziehen der Eltern den Therapieerfolg verstärkt.

Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass es den meisten Teilnehmern nach der Therapie besser geht.
Der Erfolg hängt aber auch davon ab, mit welcher grundlegenden Symptomatik sie gekommen sind. Einigen geht es super, die haben das Thema Angst ad acta gelegt. Einige machen in einem anderen Kontext noch weiter mit der Therapie, weil es mehrere Ängste gibt, die nicht im Rahmen der Sitzungen komplett behandelt werden konnten. Juliane Asbrand macht das an einem Fallbeispiel deutlich: „Ich hatte eine elfjährige Patientin mit einer sehr ausgeprägten Angst vor Hunden. Sie bekam Panik, wenn sie auch nur einen Hund in 50 Meter Entfernung herumlaufen sah. Dieses Mädchen ist nicht mehr rausgegangen, wollte nicht mehr Fahrrad fahren oder spazieren gehen. Wir haben uns zuerst damit befasst, wie ein Hund aussieht, wenn er freundlich und wenn er bedrohlich ist. Wir haben auch hilfreiche Gedanken entwickelt, wie den, dass in Deutschland erfahrungsgemäß die meisten Hunde freundlich sind. Dann sind wir rausgegangen und haben Hunde beobachtet. Was machen die eigentlich, wenn die draußen herumlaufen? Realistisch ist, dass sich die meisten Hunde wenig für einen interessieren. So haben wir uns der Situation genähert. Das Ziel war nicht, dass dieses Mädchen sich demnächst einen Bernhardiner anschafft oder fremde Hunde streichelt, sondern dass es eine realistische Einschätzung von der Situation gewinnt, um wieder nach draußen gehen zu können. Das ist uns gelungen.“

Mehr Informationen unter:
www.psychologie.uni-freiburg.de/abteilungen/Klinische.Psychologie/studienteilnahme/mutstehtdirgut/Home
sowie unter:
www.kiba-studie.de