Arbeit hinter verschlossenen Türen

Psychologen und Psychotherapeuten in Justizvollzugsanstalten – nur ein Thema beim Angestelltentag am 28. August

Wer mag schon hinter verschlossenen Türen arbeiten, oder noch zugespitzter: Wer will in den Knast? Und doch gibt es Menschen, die an diesem Ort gern arbeiten und nach jahrzehntelanger Tätigkeit auf ein erfülltes Berufsleben zurückblicken. Hans Jürgen Papenfuß, einer der Referenten beim Angestelltentag (Online-Event) unter dem Titel „Neue Herausforderungen – und dann auch noch Corona!“ am 28. August 2021 ist so einer – Dipl.-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut (PPT), aktiver Gewerkschafter und Mitglied der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer. Ohne Zögern würde er auch Berufseinsteigern empfehlen, diesen Weg zu gehen. Jeder müsse für sich herausfinden, ob das für einige Jahre oder ggf. ein ganzes Berufsleben für ihn die richtige Wahl ist und welche der außergewöhnlich vielseitigen Aufgaben in einer Justizvollzugsanstalt ihn besonders reizen. Auch die Bezahlung sei für Anfänger gut, jedenfalls tarifgebunden anders als in privaten Kliniken, wo sie häufig ausgebeutet werden. Man könne sich im Vollzug gut entwickeln, und auch eine Verbeamtung sei  möglich.

Das Spektrum der Tätigkeiten ist tatsächlich breit und nicht nur wegen der Unterschiede zwischen Regelvollzug und sozialtherapeutischen Anstalten. „Es geht weiter mit Diagnostik; nicht im medizinischen Sinne, sondern im Sinne von Handlungsempfehlungen auf der Basis der Akte und erster Gespräche. Auch die  Beratung von Gefangenen im Regelvollzug kann interessant sein und sich nach Ziel und Inhalt stark unterscheiden. Krisenintervention und Gruppenarbeit sind möglich. Hinzu kommt die psychotherapeutische Behandlung z.B. von Depressionen, Posttraumatischen Belastungsstörungen und Persönlichkeitsauffälligkeiten oder -störungen.“  Es gebe also viele Möglichkeiten für Psycholog*innen und PPT, sagt Papenfuß, die auch unterschiedliche Anforderungen an die fachliche Kompetenz stellen. Das ist auch der Grund, weshalb er nicht zu denen gehört,  die grundsätzlich nur PPT die Qualifikation für die Arbeit im Strafvollzug zusprechen. Es gebe in den Gefängnissen für beide Berufsgruppen genug zu tun. Als Voraussetzungen gelten neben einem Master in Psychologie bzw. einem entsprechenden Abschluss als Psychologischer Psychotherapeut ein Minimum an Rechtskenntnissen und natürlich Interesse an der Materie.

Auch wenn er für die Arbeit in Vollzugsanstalten wirbt, ist er weit davon entfernt, die Lage in den Gefängnissen zu beschönigen. Offene Stellen im Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) würden oft nicht besetzt. Das liege nur zum Teil an einem Manko an Bewerbern.  „Es genügt doch nicht, den Normalbetrieb und die Sicherheit zu garantieren.  Gesetzestreuer Vollzug verlangt Resozialisierung. Und an der sind neben Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen (die heute allzu oft Verwaltungsaufgaben wahrnehmen) und Beamt*innen des gehobenen Vollzugsdienstes  auch die Arbeitskräfte beteiligt, die rund um die Uhr ein prosoziales Verhalten vorleben müssen.“

Stellen für Psycholog*innen gebe es ausreichend (ca. 32 auf 1000 Inhaftierte), allerdings seien sie häufig befristet. Berufsanfänger bemerken nach Papenfuß‘ Beobachtung rasch, dass der eigene Abschluss auf Dauer nicht ausreicht, Zusatzausbildungen nötig sind. „Und wenn Unterstützung durch die Anstaltsleitung  dann ausbleibt, geben manche Kolleg*innen leider auch auf.“ Dass diese Unterstützung oft fehlt, führt Papenfuß nicht zuletzt auf mangelnde Entscheidungsfreude und Risikobereitschaft auf der Leitungsebene zurück.

Die Corona-Pandemie hat auch  das Leben in den Gefängnissen verändert. Die Inzidenzzahlen waren in Mecklenburg-Vorpommern  seit Ausbruch der Krankheit 2020 oft niedrig, ganz besonders in den Gefängnissen. Dort droht Gefahr vor allem von außen. Wer von den Häftlingen aus zwingenden Gründen die Haftanstalt zeitweise verlassen muss, den erwartet anschließend eine Quarantäne, also Einsamkeit. Auch für die Bewegung der Insassen außerhalb ihrer Zellen gibt es mehr Einschränkungen. Massiv waren und sind Letztere, was die Besuchsmöglichkeiten von Familienmitgliedern und Freunden betrifft. Die Begegnungen finden, wenn überhaupt,  hinter Trennscheiben statt. Berührungen oder gar Umarmungen sind nicht erlaubt; Nähe ist so kaum möglich, nicht einmal zu den eigenen Kindern.

Für die Zukunft wünscht sich Hans Jürgen Papenfuß „mehr Schulbesuch und Ausbildung für Inhaftierte, also die Vorbereitung der Gefangenen auf das Leben nach der Haft; eine Art Personalentwicklung im Vollzug.“ Zu oft stürze man sich in den Haftanstalten auf die ganz, ganz schweren Fälle zuungunsten derer, in die Zeit zu investieren sich wirklich lohnte. „Selbst wenn jemand nach 12 Jahren Gefängnis entlassen wird, bekommt man den mit einem Berufsabschluss noch untergebracht.“  Um auch jüngeren Häftlingen, Erstinhaftierten, die keine schweren Straftaten begangen haben, eine gute Chance zu geben, empfiehlt er auch die Arbeit mit dieser Gruppe – obwohl sie weniger gefährlich für ihre Mitmenschen sind, als Person selbst aber womöglich gefährdet, nach ihrer Freilassung wieder straffällig zu werden.“  Wenn Papenfuß über diese Häftlinge spricht, dann ist er nah bei dem Rechtswissenschaftler Karl Peters (1904-1998), der einmal schrieb: „Resozialisierung ist der Vorgang, durch den jemand, der … aus der gesellschaftlichen Ordnung herausgeraten ist, wieder soweit gefördert und gefestigt wird, dass er mit den Ansprüchen der Gesellschaft fertig wird.“ Die Vorsilbe „Re“ deute auf eine Wiedereingliederung hin; zuweilen handele es sich jedoch um eine erstmalige Eingliederung, da eine solche infolge widriger Lebensumstände wie z.B. Verwahrlosung oder Sucht auch vor der Haft nie stattgefunden habe.   – An diesem Prozess mitgewirkt zu haben, so Papenfuß, sei sehr befriedigend.

Christa Schaffmann *)Veranstalter des Events ist die Sektion Angestellte und Beamtete Psycholog*innen Im BDP  in Kooperation mit dem Verband Psychologischer Psychotherapeuten und der Sektion Klinische Psychologie im BDP. Die neue PPP-RL, Lageberichte aus verschiedenen Arbeitsfeldern, Unterstützung und Selbstverantwortung in Problemlagen und Wissenswertes für Berufseinsteiger – das sind nur einige der Themen von Referenten, über die wir Sie in den kommenden Wochen an dieser Stelle informieren werden.